FAZ vom 01.06.13: Wo Menschen arbeiten, entstehen Fehler

Sonderveröffentlichung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

 

Welche Chancen bieten sich für Consultants auf dem Gesundheitsmarkt?

Frau Dr. Eberts: Mediziner im vielschichtigen Feld der klinischen Versorgung mit umsetzungsorientierten Managementansätzen zu unterstützen ist eines der anspruchsvollsten Themenfelder für Managementberater überhaupt. In der Patientenversorgung arbeiten Menschen mit Menschen für Menschen immer wieder in persönlichen Grenzsituationen des Lebens. Genau deshalb ist es zentral, hier organisatorisch weitmöglich für Entlastung durch optimale Verzahnung von Verantwortlichkeiten zu sorgen. Berater, die sich auf die Fragestellungen von Ärzten, Pflegenden und Therapeuten tief genug einlassen, statt vorgefertigte Lösungen aus der Schublade zu ziehen, können im Aufbau professioneller Managementstrukturen in der Medizin einen echten Beitrag leisten.  

Was muss ein Consulting-Unternehmen mitbringen, um im Gesundheitsmarkt erfolgreich zu sein?

Herr Ruhl: Branchenfremde Beratungen tun sich im Gesundheitswesen schwer. Sie brauchen aufgrund der Komplexität des Sektors lange, um passgerechte strategische Konzepte zu entwickeln. Eine Stellschraube zu verändern, bedeutet eine Vielzahl ineinandergreifender Rädchen anzupassen. Wird die Realität im strategischen Ansatz allzu sehr simplifiziert, fällt dies den Akteuren spätestens in der Umsetzung auf die Füße.  

Vor welchen spezifischen Herausforderungen stehen Gesundheitsunternehmen, und wie können Unternehmensberatungen hier helfen?

Frau Dr. Eberts: Zum ersten ist der Krankenhausmarkt faktisch unterfinanziert. Die Leistungserbringer vor Ort benötigen ein Grundverständnis der Vergütung und Transparenz über ihre Kosten- und Erlössituation, um ihre ökonomische Mitverantwortung sachgerecht tragen zu können. Beim prozessorientierten Herunterbrechen und dem Aufbau einer geeigneten Managementstruktur bietet sich der Einsatz erfahrener Unternehmensberater an, welche die Akzeptanz der Akteure vor Ort haben. Zum zweiten stehen viele Kliniken ganz am Anfang, sich mit Fragen der Führungskräftequalifikation ihres medizinischen Personals auseinanderzusetzen. Unterschiedliche Führungskulturen in Kliniken tragen unterschiedlich dazu bei, in Zeiten der Veränderung eine nachhaltige Organisationsentwicklung zu erreichen. Eine aus unserer Sicht zentrale Führungskompetenz ist dabei die Empathie. Empathische Führung und der Kulturwandel hin zu einem teamorientierten Führungsansatz sind die wesentlichen Stellschauben für nachhaltig erfolgreiche Veränderungsprojekte. Dies zu fördern fordert Fingerspitzengefühl vom Berater. Zum dritten ist das integrierte Prozessmanagement und Auflösen von Denken in Abteilungs- und Berufsgrenzen eine Herausforderung. Im Rahmen der medizinischen Akutversorgung eines Patienten arbeiten zahlreiche Menschen Hand in Hand. Die Risikomanagementsysteme von Kliniken zeigen: Schon kleine Vorkommnisse oder Unabgestimmtheiten können sich zu Fehlern mit enormer Tragweite kumulieren. Wo Menschen arbeiten, entstehen Fehler. Diese systematisch durch Klären von Verantwortlichkeiten in den Grauzonen und durch strukturierte Kommunikationsprozesse zu reduzieren hat maßgebliche Auswirkungen auf die Qualität der medizinischen Versorgung. Wo Menschen sachorientiert und ungeachtet ihrer hierarchischen Stellung auf Augenhöhe miteinander arbeiten und kommunizieren, werden Fehler reduziert.  

Welche Ausbildung und welches Know-how brauchen Bewerber, um in der Klinikberatung Karriere zu machen?

Herr Ruhl: Zunächst ist ein gutes Rüstzeug notwendig. An einer fundierten Ausbildung im Management von Organisationen geht kein Weg vorbei. Doch dem klassischen betriebswirtschaftlichen Instrumentarium sollte in punkto Wirksamkeit nicht blind vertraut werden. Organisationspsychologische Ansätze runden das betriebswirtschaftliche Hintergrundwissen idealerweise ab. Die Fähigkeit, unabhängig zu denken, dem eigenen Menschenverstand zu vertrauen, eigeninitiativ und konzeptionell arbeiten zu können, sind essentiell. Für den Einstieg in die Beratung ist es dann wichtig, das Handwerkszeug des Qualitäts- und Projektmanagements in der praktischen Anwendung zu verfestigen, die eigenen Beobachtungs- und Moderationsfähigkeiten kontinuierlich zu erweitern und die nötige Feldkompetenz im Klinikbereich aufzubauen.